Solange man schreibt, spricht man mit den Menschen, die man erfindet, man lebt ihr Leben mit ihnen, und die Zeit zwischen dem Schreiben wird irgendwann unwichtig, das Schreiben wird zum Eigentlichen. Das geht auch im Kaffee Deux Magots, und es geht sogar im Kaffee Fore, trotz der Menschen dort, trotz der Modewoche und trotz der Handyfotos. Es geht, wenn man alleine ist und für sich bleiben darf. Am nächsten Tag fahren wir mit dem Taxi zum Grand Palais, hunderte Menschen stehen dort und hoffen auf Eintrittskarten. Die Decke in Palais ist über 40 Meter hoch, das Dach ist aus Glas, eingefasst in hellgrün gestrichenen und genieteten Eisenstreben. Hier besuchten Frauen in Sommerkleidern und Männer in hellen Anzügen im letzten Jahrhundert die ersten Automobilausstellungen und glaubten an den Fortschritt. Das Leben würde leichter und interessanter werden, dachten sie damals, in der sehr kurzen Zeit vor den großen Kriegen. Die Ausstattung der Haute-Couture-Show ist perfekt: Zitate von Kunstwerken an den Wänden und auf dem Boden, alles ist blendend weiß gestrichen, die ganze Halle sieht aus wie ein überbelichtetes Foto. Kellner reichen Zuckergebäck auf silbernen Tabletts, aber natürlich isst hier niemand etwas. Die reichsten und schönsten und berühmtesten Menschen der Welt sitzen auf weiß lackierten Holzkästen ohne Lehne, und wenn eine Schwangere fotografiert wird, dreht sie sich sofort zur Seite, damit zu sehen ist, dass sie ein Kind erwartet und nicht einfach nur dick geworden ist. Die Show beginnt ohrenbetäubend laut, ein dumpf hämmernder Rhythmus, der auf den Magen schlägt. Die Models erscheinen, ihre Gesichter sind dunkel geschminkt, sie sehen aus wie Erinnyen, griechische Rachegöttinnen. Keiner der Frauen lächelt. Ihr Gang ist grotesk, sie schieben ihre Becken weit nach vorne, ich habe Angst, dass sie umfallen. Die jungen Frauen wirken furchtbar angestrengt, Strichmenschen ohne Brüste und ohne Po. Nach zwölf Minuten ist alles vorbei. Später erzählt mir jemand, die Models würden nur Eiswürfel und Watte essen, die sie kurz in Orangensaft tunken. Das alles hier ist ein Missverständnis. Mode ist eine Illusion, ein glückliches Versprechen. Natürlich wird es nie eingelöst aber es muss hell und lachend und leicht sein. (Ferdinand von Schirach)