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Bundesjugendschreiben 2018
created Aug 28th 2018, 20:15 by paulzhng
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Viele Jugendliche fragen sich jeden Tag, welche Kleidung sie denn heute anziehen sollen. Hier gibt es viele Möglichkeiten. Jeans, Röcke, Stoffhosen, Hemden, Blusen, Shirts usw. Eine besondere Art der Kleidung wollen wir uns heute etwas genauer anschauen. Es handelt sich um die Tracht. Denn die Tracht gibt es in ganz Deutschland und ist auch heute noch gefragt, insbesondere bei jungen Menschen. Doch was ist eigentlich die Tracht. Die Tracht ist im Allgemeinen die historische Kleidung einer bestimmten Region oder eines Standes. Heute hat die Tracht weniger mit Brauchtum, sondern mehr mit modischen Varianten zu tun. Trachten sind das Ergebnis langwieriger Entwicklungen. In den vergangenen Jahrhunderten verhinderten strenge Kleiderordnungen eigene Entwicklungen der Bauerntrachten. Die Herrschenden wollten hier insbesondere verhindern, dass sich die Untertanen durch Prunksucht verschuldeten. Heute gibt es allerdings Trachten in allen Preisklassen, so dass man auch mit einem kleinen Geldbeutel eine tolle Lederhose oder ein schickes Dirndl finden kann. Dass die Tracht heute auch bei Jugendlichen in Mode ist, sieht man insbesondere im Herbst. Denn selbst bei Oktoberfesten in ganz Deutschland und nicht nur in Bayern kleidet sich die dortige Jugend sehr oft in Tracht. Ein kleines Fachgeschäft für Trachtenmode finden wir im Erdgeschoss eines Dreifamilienhauses am Rande von Rosenheim in Bayern. Vor dem Eingang liegt ein schwarzer Hund und in den beiden blau umrandeten Schaufenstern sind verschiedene farbenfrohe Dirndl und Lederhosen mit Hemden und Westen zu finden. Renate Plumari ist die Inhaberin dieses Geschäftes. Die schlanke Frau mit braunen, schulterlangen, gelockten Haaren und einer großen Gucci-Brille trägt Jeans, Sneakers und eine sportliche, grünkarierte Trachtenbluse mit Lodenjacke. Gegründet wurde das Geschäft von ihrem Vater Herbert, der Lederhosenschneider war. Beim Betreten des Ladens steigt einem sofort eine Mischung aus Leder- und Textilgeruch in die Nase. Mitten im gemütlich eingerichteten Raum steht ein Tresen mit Glasfronten und an jeder Wand befinden sich Kleiderständer, voll mit Dirndln, Lederhosen, Trachtenjacken, Westen und Blusen. Vor zehn Jahren übernahm Renate das Geschäft von ihrem Vater. Eigentlich ist sie gelernte Zahnarzthelferin und hat vor der Übernahme des Geschäftes ihre vier Kinder großgezogen. Seit wann es die bayerische Tracht gibt, lässt sich nicht eindeutig sagen. Bedeutend für die Tracht könnte allerdings die Gründung des ersten bayerischen Trachtenvereins gewesen sein, denn dieser fand unter den Wittelsbachern mächtige Unterstützer. Lederhose und Dirndl sind ein wichtiger Bestandteil bayerischer Lebenskultur und Ausdruck von Heimatverbundenheit findet Renate. Ursprünglich war die Lederhose die Arbeitskleidung der Bauern und Arbeiter, da sie sehr robust ist und weder gewaschen noch gereinigt werden muss. Noch vor mehr als fünfzehn Jahren war es undenkbar, dass die Mehrheit der Besucher der großen Volksfeste in Bayern in Tracht erschienen. Das hat sich heute völlig verändert. Heute kommt die Mehrheit der Besucher in Trachtenmode. Die Tracht hat in den vergangenen Jahren einen deutlichen Aufschwung erlebt. Renate sagt uns, dass die Gründe dafür hauptsächlich die unterschiedlichsten Material- und Modellvariationen sind, die es heute gibt. Dadurch biete sich jedem die Möglichkeit, seinen eigenen Kleidungsstil auch in der Tracht zu entfalten. So werden zum Beispiel Hochzeiten in Bayern, vor allem in ländlichen Gegenden, oft in Tracht gefeiert, wobei nicht nur die Braut im weißen Brautdirndl und der Bräutigam im Gehrock erscheinen, sondern fast die ganze Hochzeitsgesellschaft in Tracht gekleidet ist. Zudem werden heute viele andere Feste, insbesondere kirchliche Feste, wieder in Tracht gefeiert. Dies führt auch dazu, dass die Trachtenvereine verstärkt versuchen, bei der Jugend ein Interesse an Sitten und Bräuchen zu wecken. Ein junges Mädchen betritt mit ihrer Mutter den Laden. Für ihre Firmung möchte sie sich ein Dirndl aussuchen. Eine genaue Vorstellung hat sie aber noch nicht. Sie lässt sich von Renate verschiedene Kleider in ihrer Größe zeigen, bevor sie mit einigen Dirndln in der Umkleidekabine verschwindet. Eins nach dem anderen präsentiert sie ihrer Mutter und der Verkäuferin, jedoch hat sie an jedem etwas auszusetzen. Mal ist es der Schnitt, mal die Passform oder die Farbe. Mit einem leichten Schmollen im Gesicht verlässt sie das Geschäft. Renate sagt, dass viele junge Leute einfach nicht wissen, was sie wollen, was es ihr in der Beratung sehr schwer macht. Am nächsten Nachmittag kommen die beiden wieder. Das Mädchen kauft das blaue, festliche Baumwolldirndl, bei dem die Schürze mit einer silbernen Schließe vorne befestigt wird. Das ist aktuell sehr angesagt. Da der Laden räumlich begrenzt ist, wurde ein Teil des Sortiments in die ehemalige Garage hinter dem Haus ausgelagert. Renate erzählt, dass die anstrengendsten Kunden aber diejenigen sind, die sie bis nach den Öffnungszeiten oder der Mittagspause im Laden halten und am Ende doch nichts kaufen. Für den Preis der Tracht seien das Material und das Produktionsland ausschlaggebend. Billig produzierte Ziegenlederhosen aus Indien sind wesentlich günstiger, als in Europa hergestellte Hirschlederhosen. Insbesondere Discounter oder große Ketten haben günstigere Varianten im Angebot, während die meisten Fachgeschäfte eher die hier produzierten Stücke im Sortiment haben. Aber wie steht es um die Zukunft der bayerischen Tracht? Die in Rosenheim wohnende Schülerin Laura ist Stammkundin im Laden. Die fast volljährige Laura hat lange braune Haare, trägt eine modische Jeans und ein Sweatshirt. Sie verrät, dass sie zwar fast kein Wort im Dialekt sprechen kann, aber vier verschiedene Dirndl im Kleiderschrank hat. Mit der Tracht verbindet sie das Oktoberfest und natürlich eine Maß Bier im Festzelt. Denn das gehöre einfach dazu. Auch fast jeder ihrer Freunde und Freundinnen besitzt eine Lederhose oder ein Dirndl. Allerdings sagt sie auch, dass sie in ihrer Freizeit ohne besonderen Anlass kein Dirndl tragen würde. Aber an allen Tagen des Oktoberfestes reichen ihr ihre vier Dirndl fast nicht aus. Vielleicht finden auch Sie in Kürze eine passende Tracht ihrer Heimatregion und auch die Brauchtumsvereine in Ihrem Wohnort würden sich sehr freuen, Sie bald mal begrüßen zu dürfen. Denn es wäre toll, wenn die Tracht, nicht nur als Mode, sondern auch im Rahmen von Brauchtumspflege noch lange bestehen würde.
