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Kultur als Trainingslager
created Sep 29th, 05:38 by LPD24
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Kultur bezeichnet vom Menschen geschaffene und veränderte Artefakte. Als Sammelbegriff steht sie für die voneinander abgrenzbaren Praktiken verschiedener Gruppen wie Sprache, Bräuche und Traditionen. Neben der Hochkultur, die die Bereiche der schönen Künste, der Musik und der Literatur umfasst, spielt vor allem die Alltags- oder Massenkultur eine wichtige Rolle im täglichen Leben. Kultur ist mit Lebensweisen verknüpft, liefert Deutungsmuster und Handlungsroutinen für Krisen und Konflikte und transportiert Werte und Normen, nach denen Menschen ihr Handeln ausrichten können. Kultur regelt, welches Verhalten in welcher Situation als angemessen gilt. Sie zieht Grenzen und definiert Tabus, deren Missachtung sozial sanktioniert wird.
Eine der wirkmächtigsten und alltäglichsten Formen einer solchen Kultur sind Geschlechterrollen und Familienformen, die durch Erziehung, gesellschaftliche Erwartungshaltungen und wirtschaftliche Zwänge geprägt werden: Wie viele von ihnen gibt es? Wer übernimmt dort welche Aufgaben? Was ist männlich? Was ist weiblich? Wie soll ich mich verhalten? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Antworten darauf immer wieder neu ausgehandelt werden. Kultur ist Moden unterworfen und verändert sich permanent. Sie ist Teil von politischen Kämpfen und ein Indikator für gesellschaftliche Wertewandel wie Liberalisierungen oder konservative Backlashs.
Für politische Bewegungen ist die Kultur deshalb ein wichtiges Aktionsfeld. Emotionen und Stimmungen, die politische Mobilisierungen hervorrufen sollen, können in kulturellen Produkten symbolisch verdichtet und so über längere Zeit hinweg abgerufen werden. Da Kultur auch zur Unterhaltung konsumiert wird, bietet sie eine Chance, politische Ideologien subtil und mit aktiver Beteiligung der Bevölkerung zu vermitteln. Das gilt vor allem für das Internet, wo die Grenzen zwischen Produzent*innen und Konsument*innen von Inhalten verschwimmen. Kulturelle Produkte werden dort besonders schnell reinterpretiert und in völlig neue Kontexte gestellt. Kultur lebt einerseits von Partizipation und kreativer Aneignung, ist zugleich aber auch anfällig für politische und propagandistische Aufladung.
Marken, Ikonen und Subkulturen
Ein Beispiel dafür ist der Personenkult um autoritäre Politiker*innen. Im US-Wahlkampf ist Donald Trump z.B. längst zu einer Marke geworden, seine Slogans prangen auf Tassen, T-Shirts und Mützen. Diese Art der Inszenierung ist auch von Diktatoren wie Wladimir Putin bekannt. Derartige politisch-ikonische Inszenierungen bergen jedoch immer auch die Gefahr, zum Gegenstand von spöttischen und satirischen Gegendarstellungen zu werden.
Neben diesen Obrigkeitskulturen gibt es auch kulturelle Bewegungen von "unten". In der neonazistischen Subkultur werden vor allem Musik oder Klamotten mit einschlägigen Botschaften produziert, die ein rechtes Lebensgefühl vermitteln und zur Identitätsbildung beitragen. Konzerte, Kampfsportveranstaltungen und Festivals sind nicht nur Freizeitaktivitäten, sondern dienen der Vernetzung von Aktivist*inne. Ein relativ neues Phänomen sind sogenannte Active Clubs, in denen gemeinsam trainiert und gewandert wird. Im Vordergrund steht hier zunächst das Gemeinschaftsgefühl im männlichen Kontext. Die politische Ideologie soll erst später vermittelt werden.
Ähnlich funktioniert die rechtsextreme Ansprache im Netz. Wo der Kampfsport für die analoge Auseinandersetzung mit politischen Gegner*innen auf der Straße vorbereiten soll, dienen das provokative Trolling, also das absichtliche "Zündeln" und Verärgern durch Kommentare in Online-Communities, und die Verbreitung von rechten Memes wie z.B. vom Account "Wilhelm Kachel", dazu, einen aggressiv-kämpferischen Lebensstil einzuüben und die damit verbundene Weltanschauung zu verinnerlichen. Durch vielfältige rechtsextreme Lebenswelten werden rechtsextreme Einstellungen normalisiert und die Loyalität zu einer rechten Szene gefestigt.
Vom Kulturverfall zur Kulturpropaganda
Grundsätzlich gilt, dass für die politische Rechte die Bewertung der Gegenwartskultur eine zentrale politische Frage ist. Denn zum Kern des rechten Denkens gehört die Vorstellung, dass es sich bei der Geschichte der Menschen um einen andauernden "Kulturverfall" handelt. Gemeint ist damit die Beobachtung, dass kulturelle Praktiken und Produkte, die zuvor nur für einen kleinen Kreis zugänglich waren, nun allgemein verfügbar werden. Rechte Kulturkritiker fürchten, dass in diesem Prozess kulturelles Wissen verloren geht oder das Niveau abnimmt. Hinter dieser Geschichtsdeutung steht ein Menschenbild, das von Hierarchien und Ungleichheit geprägt ist. Geht man hingegen davon aus, dass allen Menschen die gleichen Rechte und Chancen zustehen sollen, dann kann man den allgemeinen Zugang zur Kultur auch als einen Maßstab für gesellschaftliche Demokratisierung verstehen.
Historisch steht der Faschismus für einen grundlegenden Wandel im rechten Kulturverständnis. Einerseits war für die faschistische Propaganda das Bild des "Kulturverfalls" besonders wichtig, für den sie den Liberalismus und "die Juden" verantwortlich machte. Andererseits verstanden es die faschistischen Bewegungen, die modernen Kommunikationsmittel und die Massenkultur zu nutzen. Die rechte Kulturpolitik ist seitdem durch eine Spannung gekennzeichnet: Programmatisch verweist sie gern auf Traditionen und klassische Hochkultur. Nach außen inszeniert sie sich häufig als disziplinierte Elite mit harten Aufnahmeritualen. Im Rahmen der politischen Agitation ist sie aber andererseits auch bereit, niedrigschwellige und vulgäre Formen der Kulturproduktion zu instrumentalisieren. Die meisten zeitgenössischen rechten Bewegungen betreiben daher eine vielfältige Kulturpropaganda für ganz unterschiedliche Zielgruppen.
Besonders deutlich zeigt sich das an der sogenannten Neuen Rechten und ihrer Strategie der Metapolitik. Damit ist primär der Kampf um eine kulturelle Hegemonie gemeint, also die Verdrängung von progressiven und liberalen Einflüssen auf die Kultur und ihre Ersetzung durch rechte Werte. Um eine radikal rechte Politik gesellschaftlich durchsetzen zu können, so die Überlegung, muss sie zuvor enttabuisiert und danach normalisiert worden sein. Dieses Mainstreaming kann auf vielfache Weise geschehen: durch permanente Grenzüberschreitungen und inszenierte Skandale, durch die strategische Besetzung von Begriffen, durch die Vermittlung von rechten Lebensstilen durch Influencer*innen oder auch durch die Förderung und Verbreitung von scheinbar unpolitischen Szenen und Produkten, die sich von rechts vereinnahmen lassen.
Die Politisierung des Alltags
Die Liste derartiger kultureller Referenzen im zeitgenössischen Rechtsextremismus ist lang. Im Internet greifen rechtsextreme Aktivist*innen gern bereits bekannte Symbole auf, lösen sie aus ihrem ursprünglichen Kontext und stellen sie in den Dienst ihrer politischen Projekte. Prominente Beispiele sind dafür die Comic-Serie "300" oder Pepe der Frosch. Die Symbolik von "300" wurde von der rechtsextremen Identitären Bewegung adaptiert. Der grüne Frosch wurde zum Erkennungszeichen der US-amerikanischen Alt-Right-Bewegung und deshalb von der Menschenrechtsorganisation Anti-Defamation League als Hass-Symbol eingestuft.
Diese Aneignung kultureller Symbole und ihre Politisierung funktioniert online wie offline: In den Landtagswahlkämpfen in Thüringen und Sachsen posierten zum Beispiel zahlreiche AfD-Politiker*innen mit den bei Jugendlichen beliebten DDR-Mopeds der Marke "Simson", das sie als Gegenmodell zu einem grünen "Lastenrad-Lifestyle" stilisierten. Die symbolische Besetzung dieses Alltagsgegenstands sollte die Identifikation mit den Politikern ermöglichen und die Empfangsbereitschaft für rechtsextreme Positionen erhöhen.
Auch Filme und Romane, die von alternativen Gesellschaften und großen Konflikten erzählen, sind ein beliebtes Materialarchiv für rechte Memes und stellen Deutungsmuster bereit, die rechtsextreme Aktivist*innen im kulturellen Mainstream verankern wollen. Die filmischen und literarischen Motive, in denen eine verschworene Gruppe gegen ein ungerechtes System kämpft, können z.B. als politischer Kommentar auf die Gegenwartsgesellschaft gelesen werden. Im Grunde sind aber alle Erzählungen, die klare Hierarchien und starre Geschlechterrollen sowie traditionelle Moralkodizes wie Ehre, Treue und Pflichterfüllung enthalten, anfällig für rechte Lesearten. Neurechte Metapolitik will diese Muster im Alltag verankern und andere Weltzugänge lächerlich machen.
Eine der wirkmächtigsten und alltäglichsten Formen einer solchen Kultur sind Geschlechterrollen und Familienformen, die durch Erziehung, gesellschaftliche Erwartungshaltungen und wirtschaftliche Zwänge geprägt werden: Wie viele von ihnen gibt es? Wer übernimmt dort welche Aufgaben? Was ist männlich? Was ist weiblich? Wie soll ich mich verhalten? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Antworten darauf immer wieder neu ausgehandelt werden. Kultur ist Moden unterworfen und verändert sich permanent. Sie ist Teil von politischen Kämpfen und ein Indikator für gesellschaftliche Wertewandel wie Liberalisierungen oder konservative Backlashs.
Für politische Bewegungen ist die Kultur deshalb ein wichtiges Aktionsfeld. Emotionen und Stimmungen, die politische Mobilisierungen hervorrufen sollen, können in kulturellen Produkten symbolisch verdichtet und so über längere Zeit hinweg abgerufen werden. Da Kultur auch zur Unterhaltung konsumiert wird, bietet sie eine Chance, politische Ideologien subtil und mit aktiver Beteiligung der Bevölkerung zu vermitteln. Das gilt vor allem für das Internet, wo die Grenzen zwischen Produzent*innen und Konsument*innen von Inhalten verschwimmen. Kulturelle Produkte werden dort besonders schnell reinterpretiert und in völlig neue Kontexte gestellt. Kultur lebt einerseits von Partizipation und kreativer Aneignung, ist zugleich aber auch anfällig für politische und propagandistische Aufladung.
Marken, Ikonen und Subkulturen
Ein Beispiel dafür ist der Personenkult um autoritäre Politiker*innen. Im US-Wahlkampf ist Donald Trump z.B. längst zu einer Marke geworden, seine Slogans prangen auf Tassen, T-Shirts und Mützen. Diese Art der Inszenierung ist auch von Diktatoren wie Wladimir Putin bekannt. Derartige politisch-ikonische Inszenierungen bergen jedoch immer auch die Gefahr, zum Gegenstand von spöttischen und satirischen Gegendarstellungen zu werden.
Neben diesen Obrigkeitskulturen gibt es auch kulturelle Bewegungen von "unten". In der neonazistischen Subkultur werden vor allem Musik oder Klamotten mit einschlägigen Botschaften produziert, die ein rechtes Lebensgefühl vermitteln und zur Identitätsbildung beitragen. Konzerte, Kampfsportveranstaltungen und Festivals sind nicht nur Freizeitaktivitäten, sondern dienen der Vernetzung von Aktivist*inne. Ein relativ neues Phänomen sind sogenannte Active Clubs, in denen gemeinsam trainiert und gewandert wird. Im Vordergrund steht hier zunächst das Gemeinschaftsgefühl im männlichen Kontext. Die politische Ideologie soll erst später vermittelt werden.
Ähnlich funktioniert die rechtsextreme Ansprache im Netz. Wo der Kampfsport für die analoge Auseinandersetzung mit politischen Gegner*innen auf der Straße vorbereiten soll, dienen das provokative Trolling, also das absichtliche "Zündeln" und Verärgern durch Kommentare in Online-Communities, und die Verbreitung von rechten Memes wie z.B. vom Account "Wilhelm Kachel", dazu, einen aggressiv-kämpferischen Lebensstil einzuüben und die damit verbundene Weltanschauung zu verinnerlichen. Durch vielfältige rechtsextreme Lebenswelten werden rechtsextreme Einstellungen normalisiert und die Loyalität zu einer rechten Szene gefestigt.
Vom Kulturverfall zur Kulturpropaganda
Grundsätzlich gilt, dass für die politische Rechte die Bewertung der Gegenwartskultur eine zentrale politische Frage ist. Denn zum Kern des rechten Denkens gehört die Vorstellung, dass es sich bei der Geschichte der Menschen um einen andauernden "Kulturverfall" handelt. Gemeint ist damit die Beobachtung, dass kulturelle Praktiken und Produkte, die zuvor nur für einen kleinen Kreis zugänglich waren, nun allgemein verfügbar werden. Rechte Kulturkritiker fürchten, dass in diesem Prozess kulturelles Wissen verloren geht oder das Niveau abnimmt. Hinter dieser Geschichtsdeutung steht ein Menschenbild, das von Hierarchien und Ungleichheit geprägt ist. Geht man hingegen davon aus, dass allen Menschen die gleichen Rechte und Chancen zustehen sollen, dann kann man den allgemeinen Zugang zur Kultur auch als einen Maßstab für gesellschaftliche Demokratisierung verstehen.
Historisch steht der Faschismus für einen grundlegenden Wandel im rechten Kulturverständnis. Einerseits war für die faschistische Propaganda das Bild des "Kulturverfalls" besonders wichtig, für den sie den Liberalismus und "die Juden" verantwortlich machte. Andererseits verstanden es die faschistischen Bewegungen, die modernen Kommunikationsmittel und die Massenkultur zu nutzen. Die rechte Kulturpolitik ist seitdem durch eine Spannung gekennzeichnet: Programmatisch verweist sie gern auf Traditionen und klassische Hochkultur. Nach außen inszeniert sie sich häufig als disziplinierte Elite mit harten Aufnahmeritualen. Im Rahmen der politischen Agitation ist sie aber andererseits auch bereit, niedrigschwellige und vulgäre Formen der Kulturproduktion zu instrumentalisieren. Die meisten zeitgenössischen rechten Bewegungen betreiben daher eine vielfältige Kulturpropaganda für ganz unterschiedliche Zielgruppen.
Besonders deutlich zeigt sich das an der sogenannten Neuen Rechten und ihrer Strategie der Metapolitik. Damit ist primär der Kampf um eine kulturelle Hegemonie gemeint, also die Verdrängung von progressiven und liberalen Einflüssen auf die Kultur und ihre Ersetzung durch rechte Werte. Um eine radikal rechte Politik gesellschaftlich durchsetzen zu können, so die Überlegung, muss sie zuvor enttabuisiert und danach normalisiert worden sein. Dieses Mainstreaming kann auf vielfache Weise geschehen: durch permanente Grenzüberschreitungen und inszenierte Skandale, durch die strategische Besetzung von Begriffen, durch die Vermittlung von rechten Lebensstilen durch Influencer*innen oder auch durch die Förderung und Verbreitung von scheinbar unpolitischen Szenen und Produkten, die sich von rechts vereinnahmen lassen.
Die Politisierung des Alltags
Die Liste derartiger kultureller Referenzen im zeitgenössischen Rechtsextremismus ist lang. Im Internet greifen rechtsextreme Aktivist*innen gern bereits bekannte Symbole auf, lösen sie aus ihrem ursprünglichen Kontext und stellen sie in den Dienst ihrer politischen Projekte. Prominente Beispiele sind dafür die Comic-Serie "300" oder Pepe der Frosch. Die Symbolik von "300" wurde von der rechtsextremen Identitären Bewegung adaptiert. Der grüne Frosch wurde zum Erkennungszeichen der US-amerikanischen Alt-Right-Bewegung und deshalb von der Menschenrechtsorganisation Anti-Defamation League als Hass-Symbol eingestuft.
Diese Aneignung kultureller Symbole und ihre Politisierung funktioniert online wie offline: In den Landtagswahlkämpfen in Thüringen und Sachsen posierten zum Beispiel zahlreiche AfD-Politiker*innen mit den bei Jugendlichen beliebten DDR-Mopeds der Marke "Simson", das sie als Gegenmodell zu einem grünen "Lastenrad-Lifestyle" stilisierten. Die symbolische Besetzung dieses Alltagsgegenstands sollte die Identifikation mit den Politikern ermöglichen und die Empfangsbereitschaft für rechtsextreme Positionen erhöhen.
Auch Filme und Romane, die von alternativen Gesellschaften und großen Konflikten erzählen, sind ein beliebtes Materialarchiv für rechte Memes und stellen Deutungsmuster bereit, die rechtsextreme Aktivist*innen im kulturellen Mainstream verankern wollen. Die filmischen und literarischen Motive, in denen eine verschworene Gruppe gegen ein ungerechtes System kämpft, können z.B. als politischer Kommentar auf die Gegenwartsgesellschaft gelesen werden. Im Grunde sind aber alle Erzählungen, die klare Hierarchien und starre Geschlechterrollen sowie traditionelle Moralkodizes wie Ehre, Treue und Pflichterfüllung enthalten, anfällig für rechte Lesearten. Neurechte Metapolitik will diese Muster im Alltag verankern und andere Weltzugänge lächerlich machen.
