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Von Gigi zu Gigi - Rechtsock im Wandel

created Monday October 06, 06:14 by LPD24


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Springerstiefel, 12-Loch, weiße Schnürsenkel - dieses Fashion Statement konnte man unlängst bei einem Aufmarsch von rund 300 Jugendlichen gegen den Christopher Street Day (CSD) in Magdeburg sehen. Die Hetze gegen LGBT und dort gezeigte Zeichen wie die "White Power"-Geste sind fester Bestandteil der derzeitigen rechtsextremen Konjunktur. Auffällig aber war die Retro-Optik des Protests: Stiefel, Reichsfahnen, Rechtsrock-Shirts und rasierte Schädel. Ein Teil der rechten Jugend hat sich ausgestorben geglaubte Subkultur-Accessoires wieder angeeignet.
 
Die extreme Rechte ist im Fluss, besonders seitdem die AfD Wahlerfolge feiert und zum Gravitationszentrum dieses politischen Lagers geworden ist. Eine markante Folge dieser Entwicklung ist ein neues Verhältnis zu Kultur und Musik.
 
Lange hatte sich der Status quo anders dargestellt: Als sich die NPD ab 1996 unter Udo Voigt verstärkt zum Neonazismus öffnete, schöpfte sie aus dem Einsatz von Musik die nötige Kraft für ihre Annäherung an die rechtsorientierte Jugend. Die Partei organisierte Rechtsrockfestivals und verteilte Schulhof-CDs. Es folgten Landtagseinzüge in Sachsen (2004) und Mecklenburg-Vorpommern (2206). Die 1990er- und 2000er-Jahre waren die Hochzeit des Rechtsrocks. Bands wie Stahlgewitter um Daniel "Gigi" Giese erreichten ein großes Publikum. Bands wie die Zillertaler Türkenjäger intonierten populäre Stimmungslieder mit menschenverachtenden Texten neu - ein zynischer Partyspaß für die Klientel. Und nicht zuletzt waren Rechtsrock-Netzwerke wie Blood and Honour direkte Unterstützer für den mörderischen Neonaziterrorismus dieser Zeit.
 
Die Konstellation von Politik und Subkultur, NPD, Kameradschaften und Rechtsrockszene verlor in den 2010er-Jahren an Bedeutung. Dafür ergaben sich für die Szene neue politische Möglichkeiten. 2010 eröffnete etwa Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" die gesellschaftlichen Diskursräume nach rechts außen. 2013 gründete sich die AfD. 2014 kam die Protestbewegung Pegida. Erprobte rechte Strukturen nahmen dort auf die neuen Straßenproteste Einfluss. Hinter den folgenden "Nein-zum-Heim-Bürgerinitiativen" steckten häufig NPD-Leute. Und auch die AfD war von Anfang an mitgeprägt von Leuten aus dem Dunstkreis des Neonazispektrums, wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz.
 
Trotz der Kontinuitäten veränderte sich der Kommunikationsmodus der rechtsextremen Politik. Statt ruppigem Distinktionsgehabe und Bekenntnissen zum Nationalsozialismus hieß es nun: Wir sind die ganz normalen Leute, wir sind die schweigende bürgerliche Mehrheit, wir haben berechtigte Sorgen. Auch auf die musikalische Unterfütterung der Politik hatte das erheblichen Einfluss: Rechtsrock taugte nicht als Soundtrack für die sich "bürgerlich" präsentierenden Pegida-Aufzüge. Die Hymne der "Spaziergänge" war entsprechend kein Gitarrenrock, sondern von einem lokalen Radio-DJ produzierter Elektrokitsch - offenbar anschlussfähiger an ein breiteres Publikum.
 
Der Rechtsrock existierte dennoch weiter. Rund 6.000 Neonazis trafen sich etwa 2017 beim "Rock gegen Überfremdung" im thüringischen Themar, wo auch die alte Band von "Gigi" als Hauptact auftrat. Am politischen Puls der Zeit waren solche Veranstaltungen aber nicht mehr. Wirkungsvolle rechte Politik fand anderswo statt. Die extreme Rechte schien auf ein subkulturelles Erscheinungsbild und Musik als wichtiges Gestaltungselement zunehmend verzichten zu können.
 
Allerdings wurde aus dem Rechtsextremismus frühzeitig an einer auch jugendlichen, kulturellen und bewegungsorientierten Unterfütterung der AfD gearbeitet. Die mit den Vereinigungen in Schnellroda rund um das ehemalige Institut für Staatspolitik verbundenen Instanzen wie die Identitäre Bewegung investierten erheblich, um Erwachsenen und Jugendlichen neue rechtsextreme Lebenswelten zu offerieren. Das Ziel: Die Beförderung eines AfD-Milieus aus parteinahen Institutionen von Mittelstandsinitiativen über revitalisierte Studentenverbindungen, "Alternativ-Medien" bis zu losen rechtsextremen Jugendszenen. Dieses Vorhaben soll auch einer "Domestizierung" der AfD vorbeugen und variiert Vorstellungen zu Kulturarbeit, Milieubildung und Aufgabenteilung, die im Rechtsextremismus seit Jahrzehnten im Spannungsfeld zwischen Neuer Rechter und Neonazismus, Gramsci-Rezeption und den Debatten um "national befreite Zonen" geführt werden.
 
Besonders in der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative und ostdeutschen AfD-Landesverbänden hatte dieses Vorhaben einen Resonanzraum. Bei ihrem Bundeskongress 2022 richtete die Junge Alternative eigens eine "Messe des Vorfelds" aus. Auf der musikalischen Ebene wurden aus dem "Vorfeld" Deutschrockbands wie Wutbürger gefördert, stärker aber rechter Rap etwa vom Komplott, Chris Ares oder Proto NDS. Erfahrungen, Ressourcen und Personal aus der alten Rechtsrockszene flossen hier ein. Mit NDS und Subversion Productions sind außerdem zentrale rechte Rap-Vertriebe direkt mit der Neonaziszene verbunden. Längst veranstaltet auch die Junge Alternative eigene Rechtsrockkonzerte - früher Alleinstellungsmerkmal von Neonazis.
 
Hinzu kommt, dass sich im Zuge der Corona-Proteste einige Kulturschaffende dem Parteiumfeld annäherten und dann anschlossen. So musiziert inzwischen der in Brandenburg bekanntere Stadtfest-Ostrocker Krähe bei "Vorfeld"-Veranstaltungen. und der ehemals auf Mallorca auftretende Schlagersänger Björn Banane singt "Mein Herz schlägt blau" und nicht mehr über "Biergit".
 
Intensiv bespielen die rechtsextremen Bewegungsakteure zudem popkulturell Kontroversen, um aus ihnen "metapolitischen" Mehrwert abzuschöpfen. Die demonstrative Positionierung rechtsextremer Akteure im Jahr 2023 für Rammstein und seinen Sänger, der unter dem Verdacht systematischen sexuellen Missbrauchs steht, ist dafür genauso ein Beispiel wie das Aufgreifen und die Weiterverbreitung des Sylt-Videos, auf dem junge Menschen rassistische Parolen zu Gigi D'Agostiinos "L'amour toujours" singen. Die Junge Alternative hatte in ihren Materialversand umgehend ein "Shirt zum Sommerhit" aufgenommen und sich somit die rassistische Hetzparole im neuen Text zu eigen gemacht, die schon 1992 das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen begleitet hatte.
 
Es gibt auch vollkommen neue Entwicklungen. Die Nutzung von KI-Musik, etwa in den ostdeutschen Landtagswahlkämpfen, ist so eine. Im computergenerierten Video z.B., das die Junge Alternative zu ihrem "Remigrations-Hit" verbreitet, sieht man stereotyp-blondes Jungvolk, das sich an den angekündigten millionenfachen Abschiebungen einer imaginierten AfD-Regierung erfreut. Der Song selbst wiederum ist eine Umtextung des Atzen-Hits "Das geht ab" (2009).
 
Ob sich diese Phänomene verstetigen und ein lebendiges Partei-Milieu hervorzubringen vermögen, wird sich noch zeigen. Die gesellschaftliche Stimmung aber begünstigt ein Anwachsen und eine Etablierung der rechten Kultur und Lebenswelt für ein umfassendes Milieu. Um dies zu erreichen, investiert die extreme Rechte in Kultur. Auf das Geschlecht bezogen z.B. zeigen sich klare Tendenzen in den Potenzialen - Männer neigen stärker zu den rechten Angeboten. Zudem ist der Osten Deutschlands deutlich stärker belastet. Nicht zufällig werden deshalb im AfD-Umfeld zur Popularisierung der eigenen Inhalte immer wieder Ostparolen ("Vollende die Wende") und -nostalgika (Simson-Mopeds) eingesetzt.
 
Eine weitere Entwicklung: Jugendlicher Rechtsextremismus nimmt wieder an Fahrt auf. Bei den Protesten gegen CDs und auf AfD-Wahlkampfkundgebungen zeigten sich rechtsextreme Jugendcliquen, die Wegweiser für eine neue rechte Kultur werden könnten. Auch die Ergebnisse der Landtagswahlen 2024 spiegeln diese Tendenz wider. In Thüringen etwa wählten 38 Prozent der 18- bis 24-Jährigen die AfD - anteilig mehr als in anderen Altersgruppen. Dies alles zeigt: AfD-blau, Tiktok, rechter Atzenrap, Skinhead-Retro und andere Phänomene können womöglich zueinander finden und dann eine rechte Kultur zu neuer Wirksamkeit führen.
 
Um dem zu begegnen, wird es darauf ankommen, demokratische Gegenkulturen zu stärken. Wie viel Mut und Einsatzwille vor Ort geweckt werden kann, zeigten eindrücklich die Teilnehmer*innen der ostdeutschen Kleinstadt-CDSs in den vergangenen Sommermonaten.

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